Gelsenkirchen – Flöz Dickebank ***

03.04.2014

Heute machen Udo und ich uns bei strahlendem Sonnenschein mit den Rädern auf den Weg nach Gelsenkirchen. Ein bisschen Sentimental Journey, denn früher, in den 50ziger und 60ziger Jahren, haben wir hier gewohnt. Ich in Ückendorf und Udo in Wattenscheid-Günnigfeld. Früher, als es noch die Zechen Rheinelbe und Alma gab und das Gussstahlwerk, als hier noch Kohle gefördert und Stahl gekocht wurde. Früher, als sich der Himmel leuchtend rot färbte, wenn im Stahlwerk ein Abstich gemacht wurde und die Wäsche schnell eingeholt wurde, bevor sich ein feiner Silberstaub auf alles legte. Unser Ziel ist die alte Bergbausiedlung Flöz Dickebank.

Seit 1861 wurde auf den Zechen Kohle gefördert und bereits 1870 wurde die Siedlung Flöz Dickebank gebaut um den vielen Arbeitern, die die Zechen brauchten, Wohnraum zu schaffen.
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Doppel- und Vierfamilienhäuser mit großen Gärten,
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mit Klappen durch die die Kohle für die Öfen in die Keller geschüttet wurden,
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und Schuppen für die Kaninchen für den Feiertagsbraten.
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Über allem liegt eine sonntägliche Ruhe, ab und zu kommt uns eine Frau mit Einkaufstaschen entgegen, hier und da werkelt jemand in seinem Garten. Doch die Idylle trügt, denn 1972 hat der Rat der Stadt Gelsenkirchen beschlossen, die Siedlung abzureißen und stattdessen 12-geschossige Hochhäuser zu errichten.

Dramatisch, aber 40 Jahre her und die alten Häuser stehen ja noch. Da waren die Bürgerinitiativen wohl erfolgreich.

Dachte ich, bis uns eine ältere Dame, die vor ihrem Haus in der Sonne stand, ansprach. Freundlich und neugierig fragte sie uns, was wir denn hier tun und warum wir fotografieren. Diese Frage war die Einleitung für ein bewegendes Gespräch mit ihr. Sie erzählte uns mit einer tiefen Betroffenheit von dem Auf und Ab ihres gemeinsamen Kampfes um den Erhalt der kleinen Bergarbeitersiedlung. Von der Überheblichkeit des Wohnungsunternehmens, den Seilschaften der „grauen Alten“ in der Stadt, ihrem sozialpolitischen Erwachen als Mitglieder der Bürgerinitiative und von dem bereichernden, täglichen Lernprozess im Baurecht, in Verhandlungsführung, Kongressorganisation, im ministeriellen Arbeitskreis und nicht zu Letzt als Ziel von Intrigen.

Sie erlebte jahrelang die Anfeindungen vom eigenen Arbeitgeber, der mit dem Wohnungsbauunternehmen verbunden war. Sie war tief enttäuscht, dass die Siedlung nicht durch die eigens dafür gegründete Mietergenossenschaft gekauft werden konnte. „Wir haben uns über viele Jahre für unsere Siedlung engagiert, waren mehr auf der Straße als zu Hause. Vieler der ‚alten Kämpfer‘ leben nicht mehr und den neuen Mietern ist es egal. So nach und nach verfällt hier alles. Wir haben für unsere Siedlung gekämpft und es hat uns sehr viel gekostet.“

Was 1972 als ein Fanal für eine emanzipatorische Bewegung von Mietern im Ruhrgebiet begann, findet möglicherweise jetzt sein unrühmliches und trauriges Ende. Als einer der wichtigen Orte unserer Heimat steht die Bergarbeitersiedlung Flöz Dickebank seit 2008 unter Denkmalschutz. Als letzten, enttäuschenden Schritt verkauft die Deutsche Annington die ganze Siedlung am 1. September 2012 an die Häusser-Bau GmbH, die die Häuser Zug um Zug abstoßen will. Aber heute will scheinbar niemand mehr eine Haus hier kaufen, denn an einigen Häusern sahen wir Verkaufsangebote, die von innen an die Fensterscheiben geklebt waren. Dahinter leere Räume, das Datum auf den Angeboten war schon über ein Jahr alt.

Meine Wertung: ***** gut
Flöz Dickebank
Gelsenkirchen
Text von Udo und mir